Am 8. Juni waren Ernst Lorenzen und Achim Scholz von der ABC-Selbsthilfegruppe zu Vortrag und Gespräch zur Alphabetisierung Erwachsener in die Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg eingeladen. Gastgeberinnen waren Prof. Dr. Anna-Maria Hintz und die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin Madeleine Morhardt vom Lehrstuhl Pädagogik und Didaktik bei Beeinträchtigungen des Lernens unter besonderer Berücksichtigung inklusiver Bildungsprozesse. Im Hörsaal 2 versammelten sich 24 Studierende eines 2. Semesters im Masterstudiengang zum Lehramt Sonderpädagogik. Die Veranstaltung fand im Rahmen eines Seminars zu Didaktik und professionellem Handeln u.a. im Schriftspracherwerb statt.
Zu Beginn trug Achim Scholz einige Fakten zur aktuellen Bildungskrise vor:
Über einem Drittel der Kinder wird in der Familie selten oder nie vorgelesen (Vorlesemonitor 2022), bei einem Viertel der Schüler*innen in der 4. Klasse ist die Lesekompetenz unzureichend (IGLU-Studie 2021), über 50.000 Schüler*innen verlassen die Schule ohne Abschluss (Bertelsmann Stiftung), jeder 8. deutsche Erwachsene im erwerbsfähigen Alter kann nicht ausreichend lesen und schreiben (LEO-Studie 2019).
Was das im konkreten Fall bedeutet, machte Ernst Lorenzen als ehemals Betroffener anhand seiner Lebens- und Lerngeschichte deutlich. Darüber hinaus veranschaulichte Achim Scholz an drei Fallgeschichten von Betroffenen aus seinem Lese- und Schreibkurs die Lebenswirklichkeit von Menschen mit geringer Literalität.
Die angehenden Sonderschullehrkräfte verfolgten die lebensnahen Schilderungen sehr aufmerksam und stellten viele Fragen:
• Hat sich das Elternhaus nicht ausreichend gekümmert?
• Gab es kein System des Auffangens in der Schule?
• Wie war es, als das Lernen in der Schule nicht so funktionierte?
• Sind die Lehrkräfte der Grundschule auf die Eltern zugegangen?
• Konnten die eigenen Eltern richtig lesen und schreiben?
• Gab es einen Zeitpunkt, wo man als Schüler gedanklich ausgestiegen ist?
• Wie war der Übergang von der Sonderschule in die Berufsschule?
• Wie haben sich die Probleme auf Freundschaften ausgewirkt?
• Wann hat man sich geoutet und wie dabei gefühlt?
• Was hätten Sie in der Schule gebraucht?
In der ABC-Selbsthilfegruppe war diese Frage bereits diskutiert worden und ergab folgende Antworten: Lehrer*innen sollen Schüler nicht erst absacken lassen, auf sie eingehen, nicht zu streng sein, die Eltern einbeziehen, außerschulische Förderung ermöglichen…
Zum Lernen als Erwachsener in einem Lese- und Schreibkurs wurden u.a. folgende Fragen gestellt:
• Wie ist der Ablauf, wenn man als neuer Lerner in einen Kurs kommt?
• Wie unterschiedlich sind die Lernziele und wie geht man damit um?
• Wie wird ein Lese- und Schreibkurs finanziert?
• Wie wichtig ist das Lernen am Computer?
Die emotionale Betroffenheit der Studierenden wurde in den Rückmeldungen zur Frage, was sie aus der 90-minütigen Veranstaltung mitnehmen, deutlich:
• „Lesen und Schreiben zu unterrichten ist eine wichtige und wertvolle Aufgabe.“
• „Als Lehrkraft hat man eine große Verantwortung für die Schüler.“
• „Es sollte im Unterricht eine Fehlerkultur entstehen können.“
• „Bei schwachen Schüler*innen sollte Stress wahrgenommen werden.“
• „Es ist viel Sensibilität erforderlich, um Lernprobleme unter dem „Radar“ zu entdecken.“
• „Lesen und schreiben lernen ist mehr als die Aneignung von Kompetenz.
Verschiedene Perspektiven sollten in den Blick geraten.“
Es stellte sich heraus, dass unter den 26 Anwesenden fünf „Mitwisser“ waren, also Personen, die einen Betroffenen in ihrer nahen Umgebung vermuten.
Zur weiteren vertieften Beschäftigung mit dem Thema Lesen und Schreiben für Erwachsene nannte Achim Scholz die Website www.abc-projekt.de, wo viele nützliche Informationen, erwachsenengerechte Unterrichtsmaterialien, Online-Übungen, Filmdokumentationen und vieles mehr zu finden sind.
Das waren eindrucksvolle Eindrücke und Erfahrungen, an denen Sie uns haben teilhaben lassen. Vielen Dank dafür!
Eine wichtige Veranstaltung!