Zielsetzung
Die Maßnahme zielte darauf, der besonders benachteiligten Gruppe der gering qualifizierten Langzeitarbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Grundqualifikationen zu vermitteln, ihre Eingliederungschancen auf dem regionalen Arbeitsmarkt erheblich zu verbessern und sie damit in die Lage zu versetzen, ihren Unterhalt selbständig zu sichern.
Der Schwerpunkt des innovativen Konzeptes lag auf der arbeitsmarktbezogenen bzw. berufsorientierten Grundqualifizierung – der Vorstufe zu einer sich dann anschließenden gezielten Aus-/Weiterbildung, Umschulung oder Arbeitsaufnahme. Im Laufe eines sich kontinuierlich vollziehenden Lernprozesses konnten Grundfertigkeiten aufgebaut und verbessert, Schlüsselqualifikationen eingeübt, Tätigkeitsfelder präsentiert und die Integrationsbemühungen benachteiligter Menschen individuell und passgenau unterstützt werden. Ein besonderer Augenmerk lag dabei auf der Schnittstelle zwischen den betrieblichen Anforderungen und dem Qualifikationsprofil der Arbeitssuchenden. Betriebsbesichtigungen, Arbeitserprobung in Praktika und Gespräche mit potentiellen Arbeitgebern bildeten die Grundlage zum Einüben berufsfeldbezogener Schriftsprache.
Konzeptionelle Eckpunkte
- Über die Teilnahme an der Maßnahme wurde unter dem Prinzip Freiwilligkeit durch Empfehlung und in Zusammenarbeit zwischen Arbeitsvermittlung und VHS als Maßnahmeträger entschieden.
- Der Schwerpunkt der Weiterbildung lag bei der Vermittlung von Basisqualifikationen in Bezug auf Arbeitsmarktorientierung und berufliche Handlungskompetenz.
- Um die notwendige starke Binnendifferenzierung zu gewährleisten, wurden die Teilnehmenden in kleinen Lerngruppen (leistungsniveauorientiert) mit maximal 7 Personen unterrichtet (wie in den Alphabetisierungskursen).
- Drei 6wöchige Praktika dienten der Arbeitserprobung und Einübung von Schlüsselqualifikationen. Sie bildeten eine erfahrungsbezogene Grundlage für die Aneignung berufsfeldbezogener Schriftsprachkompetenz.
- Die im Unterricht vermittelte berufsorientierte Grundbildung und die Erfahrungen in betrieblichen Arbeitsabläufen standen in Rückkopplungsprozessen.
- Eine betont sozialpädagogische Ausrichtung reduzierte die außergewöhnlichen lernpsychologischen, sozialen und psychischen Belastungen der Teilnehmenden.
- Lesen, Schreiben, Kommunizieren
- Rechnen, Messen, Zeichnen
- Lernen lernen
- Orientierung in der Arbeitswelt
- Gesunderhaltung von Körper und Psyche
- Soziales Lernen und eigenverantwortliches Handeln
- Einsatz des Computers als Arbeitsmittel
Teilnehmer/innen
Für die 21 Plätze in der Weiterbildungsmaßnahme waren Personen vorgesehen, die nachweislich große Probleme im Lesen und Schreiben hatten und im Leistungsbezug des Arbeitsamtes Oldenburg standen. Die Hälfte der Lernenden stammte aus den laufenden Alphabetisierungskursen der VHS. Die übrigen wurden gemeinsam von der Arbeitsberaterin und dem Maßnahmeleiter anhand der Datenmasken in der EDV des Arbeitsamtes herausgefiltert und zu einem ausführlichen Beratungsgespräch eingeladen. Eine intensive Erhebung der Teilnehmer-Ressourcen war Grundlage zur Einstufung in 3 verschiedene Leistungsniveaugruppen.
Die Teilnehmer/innen (2/3 Männer, 1/3 Frauen) im Alter zwischen 24 und 52 Jahren
(Durchschnittsalter 35 Jahre) hatten – bis auf 2 nachträglich erworbene Hauptschulabschlüsse – keinen Schulabschluss oder einen Abschluss der Schule für Lernhilfe. Sie waren im Schnitt bereits 6,4 Jahre arbeitslos gewesen und mit Problemen wie Verschuldung, Obdachlosigkeit, Bewährungsauflagen, Drogensubstitution, psychosozialen Krisen und gesundheitlichen Einschränkungen (bis zur Schwerbehinderung) belastet.
Grundbildung
Der Begriff Grundbildung umfasste konzeptionell nicht nur das schriftsprachliche System (im Sinne einer Alphabetisierung), sondern beinhaltete auch weitere gesellschaftliche Anforderungen, zum Beispiel Alltagsrechnen, PC-Grundkenntnisse und die sog. Schlüsselqualifikationen (Zuverlässigkeit, Belastbarkeit, Teamfähigkeit, Durchhaltevermögen, Selbständigkeit u.a.). Insofern wurde Grundbildung perspektivisch im Sinne einer „zweiten Chance“ und somit als Teil des Konzepts eines lebenslangen Lernens verstanden.
Die Inhalte und Themen des Unterrichts wurden unter Berücksichtigung der Lebenssituation der Teilnehmer/innen (Lebensweltbezug), der gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Anforderungen, des schriftsprachlichen Leistungsniveaus und der aktuellen Interessen und Erfahrungen in den Praktika festgelegt. Sie stammten aus den Bereichen Arbeitswelt, öffentliches Leben und privates Leben. Die Vermittlung von Fachkompetenz, Methodenkompetenz und Sozialkompetenz stand gleichwertig nebeneinander.
Vor Beginn der Maßnahme war ein Rahmenlehrplan für 7 Lernfelder entwickelt worden, der im Laufe der Durchführung ausdifferenziert wurde:
Dadurch sollte eine ganzheitlichere, projektorientierte und exemplarisches Handeln integrierende Bearbeitung von Lern-, Lebens- und Arbeitsbereichen ermöglicht werden.
Arbeitsmarktorientierung
Der Anteil der Arbeitsmarktorientierung lag im Verhältnis zur Grundbildung deutlich über 50 Prozent und beinhaltete:
- Berufsweltorientierter Unterricht
Das Lernfeld „Orientierung in der Arbeitswelt“ wurde neben dem Lesen und Schreiben und der Vermittlung mathematischer Grundfertigkeiten im Rahmen des 24wöchigen Unterrichts (= 60 % Anteil an der Gesamtmaßnahme) besonders gewichtet. Es ging hauptsächlich um das Kennenlernen des regionalen Arbeitsmarktes und der Anforderungen am Arbeitsplatz, um die Vermittlung arbeits- und sozialrechtlicher Kenntnisse und um das Training schriftlicher und mündlicher Kommunikation in beruflichen Zusammenhängen
Die Vermittlung dieser Inhalte geschah durch Exkursionen in ortsansässige, klein- und mittelständische Betriebe, bei denen die Teilnehmer/innen am ehesten Zugang zu niedrigqualifizierten Arbeitsplätzen finden. Des weiteren wurden im Unterricht sowohl Spielfilme als auch Dokumentarfilme und Reportagen zum Thema „Mensch und Arbeit“ gezeigt und anschließend im Unterricht diskutiert bzw. über Textarbeit weiter vertieft. Dabei wurden aktuelle Zeitungsartikel, Arbeitsblätter und Lesetexte aus vorhandenen Unterrichtswerken, leicht lesbare Lektüre, authentische Texte vom Arbeitsplatz und selbst verfasste Texte (z.B. über die gemeinsam besichtigten Betriebe) eingesetzt oder neu bearbeitet.
Es wurden Referenten in den Unterricht eingeladen bzw. Vortragsveranstaltungen besucht, zum Beispiel zu den Themen: Arbeitslosigkeit, Arbeitssuche, Soziale Sicherung, Versicherungen, Stressbewältigung, Konfliktschlichtung etc.
- Arbeitserprobung im Praktikum
Die 3 Betriebspraktika von insgesamt 18 Wochen Dauer waren über das Maßnahmejahr verteilt (40 % Anteil an der Gesamtmaßnahme).
Sie fanden in den Berufsfeldern statt, in denen der Arbeitsmarkt den Teilnehmer/innen am ehesten Zugangsmöglichkeiten bietet: Hauswirtschaft/Küche, Dienstleistung, Handwerk/Reparatur, Gartenbau, Industrie/Produktion
Ziel der Praktika war es, grundlegende Erfahrungen und Einblicke in die Abläufe betrieblicher Arbeitsprozesse zu ermöglichen und die Chancen auf einen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz durch Vermittlung berufspraktischer Fertigkeiten und Kenntnisse zu verbessern.
Die Erfahrungen in den Praktika gaben den Teilnehmer/innen auch eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe bei der Festlegung zukünftiger beruflicher Entwicklungen und dienten der Einübung von Schlüsselqualifikationen.
Jeweils ein Werktag (Freitag) in den Praktikumswochen war der unterrichtlichen Aufarbeitung und Reflexion der gesammelten Erfahrungen vorbehalten. Durch den Austausch der Praktikumserlebnisse in der Kleingruppe erhielten die Teilnehmer/innen einen Einblick in vielfältige und auch unterschiedliche Arbeitsbereiche. Des Weiteren wurden Qualifikationsanforderungen und Fähigkeitsprofile besprochen, Selbsteinschätzungen der eigenen Arbeitsleistung vorgenommen und Möglichkeiten der Konfliktbewältigung im Betrieb diskutiert.
Zur unterrichtlichen Aufarbeitung zählte auch das Verfassen von Tätigkeitsberichten und das Einüben berufsorientierter Schriftsprachkompetenz.
- Lesen und Schreiben lernen für den Arbeitsplatz
Welche Inhalte des Lernfeldes „Lesen, Schreiben und Kommunizieren“ – bezogen auf eine berufsorientierte Grundbildung – erscheinen uns wichtig und wie gelangen wir zu einer konkreten Sprachbedarfsanalyse ? Was müssen die Teilnehmer/innen an ihrem zukünftigen Arbeitsplatz lesen und schreiben können? Zur Beantwortung dieser Fragen wurden die im Bereich Berufsweltorientierung vorliegenden Lehr- und Lernmaterialien recherchiert und auf ihre Verwendbarkeit im Unterricht hin begutachtet.
Aber erst die Berufspraktika bildeten eine erfahrungsbezogene Grundlage für die Vermittlung und Aneignung berufsfeldbezogener Schriftsprachkompetenz:
Die Teilnehmer/innen wurden befragt, mit welchen Lese- und Schreibsituationen sie bisher am Arbeitsplatz konfrontiert waren, welche Sorten von Texten und Aufgaben sie bewältigen mussten, womit sie überfordert waren, woran sie gescheitert sind.
Die Betreuer in den Praktikumsbetrieben wurden befragt, welche betriebsspezifischen, schriftsprachlichen Anforderungen sie an den Praktikanten bzw. den von ihm ausgefüllten Arbeitsplatz stellen. Es wurden authentische Materialien/Unterlagen aus den jeweiligen Betrieben gesammelt (Aushänge, Arbeitsanweisungen, Vorschriften, Listen etc.)
Die Teilnehmer/innen schrieben Tagesberichte über ihre am jeweiligen Arbeitsplatz im Praktikumsbetrieb ausgeführten Tätigkeiten.
- Sozialpädagogische Einzelgespräche
Außerhalb des Unterrichtsgeschehens wurden zum Thema Arbeitsmarktorientierung während der gesamten Maßnahmedauer kontinuierlich Einzelgespräche geführt. Sie dienten der individuellen Beratung, Chancenprognose (Profiling) und passgenauen Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung.
Lernorganisation
37 Unterrichtsstunden pro Woche verteilten sich von 8.00 – 15.15 Uhr (freitags bis 12.00 Uhr). Der Unterricht fand in 3 Kleingruppen (je etwa 7 Lernende) mit unterschiedlichem Leistungsniveau statt.
Der Unterricht verlief in der Anfängergruppe eher lehrgangsstrukturiert (Leselehrgang) und in der Fortgeschrittenengruppe eher lernfeldübergreifend und wochenthemenorientiert. Themen, Unterrichtsmaterial und Lerntempo wurden auf das Lernen einzelner und zugleich auf das gemeinsame Lernen in der Gruppe abgestimmt.
Manche Textvorlagen waren aufgrund ihrer schriftsprachlichen Komplexität nicht in jeder Lerngruppe einsetzbar und mussten deshalb an den Lernstand der jeweiligen Gruppe angepasst, d.h. vereinfacht werden. Dabei wurden die lesetechnischen Erleichterungen graduell modifiziert (z.B. durch Lückentexte) und unterschiedlichen Stufen der Lesekompetenz angepasst. Für die Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit standen verschiedene erwachsenengerechte Lernmaterialien und Lernmedien zur Verfügung, wie Bücher, Arbeitsblätter, Lernspiele, Lernplakate, Filme, Lernsoftware etc. Neben aktivierenden Lernformen wurden Methoden gewählt, die über die verbale Ebene hinaus verschiedene Sinne und Ausdrucksmöglichkeiten der Teilnehmer/innen ansprechen und zu Selbstreflexion und aktiver Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt anregen.
Individuelle Fehleranalysen und Leistungsbewertungen sowie individuelle Förderpläne bezogen jeden Teilnehmer in die Lernplanung mit ein, d.h. in die konkrete Vereinbarung über realistische Lernziele und entsprechenden Mitteleinsatz. Die individuellen Lernprozesse wurden in jeder Kleingruppe systematisch beobachtet und dokumentiert. Lerntagebücher, Blitzlichter, Wochenbilanzen und Teamsitzungen dienen der Lern- und Unterrichtsreflexion.
Der Unterricht am Nachmittag war dem selbstgesteuerten Lernen in Einzel- und Partnerarbeit und gemeinsamen Aktivitäten vorbehalten: Betriebsbesichtigungen, Vorträge, Seminare, Filme, Museumsbesuche, kreatives Gestalten.
Sozialpädagogik
Sozialpädagogische Unterstützung und Begleitung der Lernenden waren integrale Bestandteile der Maßnahme. Sie wirkten als (lern-)entwicklungsfördernde Beratung und Hilfe, im Einzelfall auch in Form von Krisenintervention, wenn besondere Problemlagen die Grundstabilität bedrohten. Von erheblicher Bedeutung war, dass die Lernenden über einen längeren Zeitraum Kontinuität auf allen Ebenen des Miteinanderumgehens erfuhren. Sozialpädagogische Denk- und Handlungsweisen trugen ganz wesentlich dazu bei, die psychosozialen Entwicklungsbedingungen der Teilnehmenden auf die Anforderungen im Unterricht, in der Arbeitswelt und auch im privaten Umfeld vorzubereiten und sie zu stärken.
Integrativ verzahnt war die Sozialpädagogik im Förderprozess insbesondere durch:
- alltagsweltbezogene Unterrichtsthemen
- begleitende Lernberatung
- feststehende Rituale (u.a. Wochenabschlussgespräche)
- sozialpädagogische Einzelgespräche
- offene Beratungsangebote
- kreatives Arbeiten im Bereich Kunst und Kultur
- individuelle Förderplanentwicklung
- therapeutisches Eingehen auf das stets wiederkehrende „Mangelerleben“ im täglichen Lernprozess
Eine Folgemaßnahme mit wiederum 21 Lernenden konnte die Volkshochschule Oldenburg vom 8.04.2002 – 4.04.2003 durchführen. Die Vermittlungsquote auf den ersten Arbeitsmarkt lag am Ende der Maßnahme bei über 60 Prozent.
Dokumentation
Eine umfangreiche Dokumentation zur Weiterbildungsmaßnahme „Grundbildung und Arbeitsmarktorientierung“ ist erschienen im Sammelband „Berufsorientierte Grundbildung“, herausgegeben von Monika Tröster in der Schriftenreihe Perspektive Praxis im W. Bertelmann Verlag, Bielefeld, 2002, Bestell-Nr. 43/0016
Best-Practice-Auszeichnung
Im Jahr 2010 wurde das Projekt „Grundbildung und Arbeitsmarktorientierung“ der VHS Oldenburg als Best-Practice-Modell unter deutschlandweit 150 Projekten der arbeitsweltorientierten Alphabetisierung ausgewählt. Ein Team des BMBF-Forschungsprojektes “Chancen erarbeiten” vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. hatte nach eingehender Recherche eine Bestenliste erstellt.
Das Konzept und die Bewertung des Projektes „Grundbildung und Arbeitsmarktorientierung“ finden Sie hier auf den Seiten 42-55.
Transfer
Die im Projekt “Grundbildung und Arbeitsmarktorientierung”-Projekt bereits erprobten Modelle der Binnendifferenzierung und intensiven Lernberatung, des selbstgesteuerten Lernens, der Wochenplan- und Freiarbeit, der Lerntagebücher und Bilanzgespräche mit Lernenden, des Medieneinsatzes und der Erstellung erwachsenengerechter Lernmaterialien wurden im 2007 folgenden A.B..C-Forschungsprojekt weiter verfolgt und zum Teil wissenschaftlich untersucht.
Im Oktober 2011 startete bei der VHS Oldenburg eine einjährige zertifizierte Maßnahme „Arbeitsplatzorientierte Weiterbildung“ zur Förderung der beruflichen Weiterbildung. Diese und weiter folgende Jahresmaßnahmen basieren auf den Erfahrungen der Maßnahme „Grundbildung und Arbeitsmarktorientierung“ und den Ergebnissen des A.B.C.- Forschungs- und Entwicklungsprojektes.
Hier finden Sie den kompletten Abschlussbericht zum GuA-Projekt als PDF-Datei.
Mich interessiert das GUA Projekt. Kann man den Bericht (Dokumentation hrg. von Monika Tröster) in der VHS einsehen?