Am 16. Mai 2017 fand die Fachtagung Alphabetisierung und Grundbildung zum Thema „Familie ist der erste Bildungsort“ im LISUM (Landesinstitut für Schule und Medien, Berlin-Brandenburg) statt. Kathleen Bleßmann vom RGZ Oldenburg beteiligte sich mit dem dreistündigen Workshop „Family Literacy – Erfahrungen und Materialien aus dem Oldenburger Projekt Lernen in der Familie“.
18 Kolleginnen und Kollegen aus der Erwachsenbildung, aus Kitas, Familienzentren und einem Jobcenter nahmen am Workshop teil. Die Teilnehmenden wurden zunächst über das Thema „Schwierigkeiten mit der Schrift in Deutschland“ informiert. Neben den Zahlen und Fakten sorgten vor allem Texte von Oldenburger Lernenden aus Alphabetisierungskursen für viele Diskussionsbeiträge zum Thema. Anschließend wurden die wichtige Rolle der Familie beim Schriftspracherwerb sowie neue Studien zum Thema anhand eines bebilderten Kurzvortrages thematisiert und Erfahrungen ausgetauscht.
Das Oldenburger Family Literacy-Projekt „Lernen in der Familie“ wurde vorgestellt.
Schwerpunkte waren:
1. Das Bilderbuchprojekt
Das Gestalten eines Bilderbuches für das eigene Kind – mit Familienfotos, Bildern aus Zeitschriften und Texten in der jeweiligen Muttersprache – soll in den Familien den emotionalen Bezug zum Buch stärken. Die Gestaltung eines Bilderbuchs für das eigene Kind kommt bei den Müttern sehr gut an. Sie haben große Freude an der kreativen Arbeit. Hierbei gibt es kein Richtig und Falsch, alle können mitmachen. Das Bilderbuch-Projekt bietet außerdem Gelegenheit, um mit Eltern über das Thema Leseförderung in der Familie ins Gespräch zu kommen. Neben Materialien für eine kreative Gestaltung, sollte es auch stark vorstrukturiertes Material geben. Manche Eltern haben keine Erfahrungen mit Büchern, eine ganz freie Gestaltung könnte sie überfordern.
2. Vorlesenachmittage mit Familien
Hier geht es um das Vorlesen für Kinder und ihre Eltern und gemeinsame Aktionen, die sich auf die vorgelesene Geschichte / das Bilderbuch beziehen, zum Beispiel
• Texte in anderen oder mehreren Sprachen vorlesen oder erzählen
• Bilder malen (Eltern und Kinder gemeinsam)
• ein offen gelassenes Ende weiter malen oder schreiben
(beide Möglichkeiten vorhalten, denn manche Eltern können nicht schreiben)
• Spiele spielen oder Spiele basteln (z.B. ein Memory)
• Theater spielen
Ziel ist, dass Kinder und Eltern Spaß an Geschichten und Büchern erleben und das Vorlesen oder Bücher anschauen mehr in den Familienalltag einbeziehen.
3. Die Broschüren „Fit für die Schrift“ und „Jeden Tag ein Bilderbuch“
Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten im Bildungssystem können nicht allein durch Kita und Schule ausgeglichen werden. Auch die Familien müssen einbezogenen werden und zwar lange vor Schulbeginn. Eltern sollten über die Zusammenhänge zwischen dem Lernen in der Familie und dem späteren Schulerfolg aufgeklärt werden. Sie sollten wissen, wie wichtig das Vorlesen / Anschauen von Bilderbüchern für das Lernen des Lesens und Schreibens ist. Alle Eltern möchten, dass ihr Kind einen Schulabschluss macht und einen Beruf lernt oder studiert. Aber nicht alle Eltern wissen, dass der Grundstein dafür in der Familie gelegt wird. Aus Unsicherheit oder Überforderung überlassen manche Eltern das vorschulische Lernen den Erzieherinnen in der Kita. Auf Elternabenden, Thementagen oder in Elterngesprächen könnten diese Themen besprochen und der Austausch der Eltern untereinander ermöglicht werden. Die Broschüren „Fit für die Schrift“ oder „Jeden Tag ein Bilderbuch“ (mehrsprachig) geben Eltern konkrete Anregungen für das Lernen in der Familie.
4. Wimmelbilder zur Sprachförderung
Zurzeit entstehen im Projekt Family Literacy Wimmelbilder zur Sprachförderung zum kostenlosen Download. Die detailreichen Abbildungen sollen Kinder und Eltern zum Schauen, Ausmalen und gemeinsamen Sprechen in der jeweiligen Muttersprache anregen. Zu jedem Wimmelbild gibt es Vorschläge für Eltern. Zum Beispiel: Suche den Hund! Wie viele Bäume gibt es? Was macht die Maus? Welches Tier hat eine Mütze auf? Wer rutscht die Rutsche hinunter? Wohin fährt das Auto? Wer kann fliegen? Was machst du am liebsten auf dem Spielplatz? So werden spielerisch neue Wörter gelernt, das Erzählen angeregt und die visuelle Wahrnehmung gefördert.
Im Anschluss hatten die Teilnehmenden Gelegenheiten, sich Fotos aus dem Oldenburger Projekt, Materialien für die Arbeit mit Familien sowie die Broschüren „Jeden Tag ein Bilderbuch“ und „Fit für die Schrift“ anzuschauen.
Nach der Pause gab es Informationen über internationale Family Literacy-Projekte, zum Beispiel „Schenk mir eine Geschichte“ (Schweiz) und „Fly Hamburg“. Anschließend gingen die Teilnehmenden in eine Gruppenarbeit, wo sie sich mit Family Literacy im eigenen Tätigkeitsbereich auseinandersetzten und konkrete Ideen zur Family Literacy-Arbeit entwickelten. Die Ergebnisse wurden abschließend im Workshop vorgestellt – es waren viele tolle Ideen dabei. Viele Teilnehmende können sich vorstellen, die Family Literacy-Idee in ihrem eigenen Arbeitsbereich umzusetzen.