Lernende stärker einbinden

Von li.: Tim-Thilo Fellmer, Brigitte van der Velde, Achim Scholz, Ernst Lorenzen

Von li.: Tim-Thilo Fellmer, Brigitte van der Velde, Achim Scholz, Ernst Lorenzen

Im Rahmen der Regionalkonferenz „Europäische Impulse und regionale Praxis: Alphabetisierung und Grundbildung in Niedersachsen“ am 27.03.2014 in Hannover wurde im Forum 3 die Einbindung von Lernenden thematisiert. Achim Scholz moderierte die einstündige Diskussionsrunde mit Brigitte van der Velde und Ernst Lorenzen von der ABC-Selbsthilfegruppe Oldenburg und Tim-Thilo Fellmer, ehemaliger funktionaler Analphabet und heutiger Kinder- und Jugendbuchautor.

Vier Fragekomplexe strukturierten die Diskussion:

  1. Warum ist es so schwierig, neue Teilnehmer für Lese- und Schreibkurse zu gewinnen?
  2. Warum sind Lernende die besten Botschafter?
  3. Wie erfolgversprechend sind Selbsthilfegruppen in der Alphabetisierung und Grundbildung?
  4. Welche Unterstützung ist zukünftig erforderlich, um die Selbsthilfebewegung zu stärken?

Nachdem die drei Lernerexperten ihre Statements abgegeben hatten, entwickelte sich schnell eine lebhafte Diskussion unter den 20 Forumsgästen.

1) Zunächst wurde der Frage nachgegangen, warum nicht mehr von Analphabetismus Betroffene erreicht werden können. Als Gründe wurden vor allem Ängste angeführt, sich zu outen, negative Schulerfahrungen, eine immer noch bestehende Unwissenheit über Lernangebote und zu geringe finanzielle Ressourcen, die Gebühren für einen Lese- und Schreibkurs aufzubringen.
Sowohl Betroffene als auch Mitwisser müssten stärker persönlich angesprochen werden, sowohl im direkten Gespräch als auch über schriftfreie Medien wie Radio und Fernsehen. Bei entsprechenden Werbespots sollten Betroffene mit ihrer Authentizität einbezogen werden, so wie es beispielsweise in Irland mit großem Erfolg geschieht. Für Betroffene sei es leichter, über Selbsthilfegruppen vor Ort als Sprungbrett in Kurse zu gelangen. Bedürfnisgerechte Angebote, insbesondere Intensivlernangebote müssen flächendeckend und kostenfrei angeboten werden.

2) Die anwesenden drei Botschafter für Alphabetisierung waren sich einig: Lernende wissen, wovon sie sprechen, tun dies authentisch, geben der Zahl von 7,5 Millionen ein Gesicht und können gleichfalls Betroffenen am besten Mut machen. Mittlerweile haben sich viele Lernende für die Medienarbeit professionalisiert und sich zu Lerner-Experten ausbilden lassen. Ihr Expertenwissen muss zukünftig noch stärker in die Kampagnenarbeit eingebunden werden. Es zeigt sich immer wieder, dass Betroffene auf mehr Resonanz bei Medienvertretern stoßen.

3) Die Potenziale der Selbsthilfegruppen wurden anschaulich dargestellt: Durch ihre niederschwelligen Angebote können sie gleichfalls Betroffenen eher die Ängste nehmen und ermutigen, nach dem Scheitern in der Schule eine zweite Chance zu ergreifen bzw. sie von den Vorzügen des erwachsenengerechten Lernens überzeugen. Momentan kommt auf die wenigen Selbsthilfegruppen noch sehr viel Arbeit zu. Deshalb ist es notwendig, die Selbsthilfebewegung bundesweit zu stärken und zu vernetzen. Dafür könnte ein vom Bund finanziertes Projekt von Lernerexperten als zentrale Anlaufstelle und zur Vernetzung der Gruppen vor Ort sehr hilfreich sein.

Alle Diskutanten waren sich einige darin, dass der Schlüssel zum Erfolg der Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland darin liegt, die Betroffenen als aktive Lerner-Experten in alle Prozesse einzubeziehen, also in die Kampagnenarbeit zur Teilnehmergewinnung, in Wissenschaftsprojekte, in die Entwicklung von Konzepten und Lernmaterialien. Achim Scholz: „Lange genug wurde über Betroffene gesprochen. Es ist an der Zeit, mit ihnen zu sprechen und sie in alle Aktivitäten einzubeziehen.“

4) Als Wunsch für die Zukunft formulierte Brigitte van der Velde eine bundesweite Tagung für Lernende zum intensiven Austausch untereinander. Umgehend sprachen die Vertreter der VHS Muldental eine Einladung zu einem kostenfreien Lerner-Camp im Sommer 2015 aus.
Ernst Lorenzen mahnte eine nachhaltige finanzielle Unterstützung der Selbsthilfegruppen an, um die Arbeit verstetigen zu können. Tim–Thilo Fellmer schloss mit dem Wunsch, dass die Entscheidungsträger an die Lernenden glauben und ihnen die Mittel an die Hand geben, damit sie ihre Arbeit weiterhin gut machen und ausbauen können.