Durchgeführt wurde die Fachtagung im Auftrag des Bundesamtes für Kultur vom Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben und dem Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB. Zu den 130 Teilnehmenden zählten Vertreter von Bund und Kantonen, Kursleitende und Verantwortliche im Bereich Grundbildung, Vermittler und Personen, die am Thema Illetrismus (funktionaler Analphabetismus) interessiert sind.
Schon am Vorabend der Tagung tauschten sich die 30 Lernenden und Lernbegleiter aus Frankreich, Belgien, Deutschland, Holland, der Westschweiz und Graubünden intensiv aus. Sie verstehen sich als Botschafter und setzen sich für die Belange der Betroffenen in ihren Ländern ein.
Zum Tagungsbeginn präsentierte Brigitte Pythoud von der Association Lire et Ecrire die Ergebnisse einer Umfrage von 925 Teilnehmenden aus Lese- und Schreibkursen in der Schweiz. Ihre Motivation, die Kenntnisse in den Grundkompetenzen und der Gebrauch von Kommunikationstechnologien standen dabei im Mittelpunkt.Anschließend erläuterte Tanja Hollenstein Marketinginstrumente, wie die 800.000 Menschen mit einer Lese- und Schreibschwäche in der Schweiz angesprochen und zum Kursbesuch motiviert werden könnten. Die Botschaft: Alle lernen lebenslang und Selbstständigkeit sowie Lebensqualität sind der positive Effekt beim Lernen.
In fast allen europäischen Ländern haben sich in den letzten Jahren verstärkt Gruppen von Lernenden und ehemaligen Lernenden gebildet. Diese haben zum Ziel, Menschen in der gleichen Situation zum Lernen zu motivieren und die Öffentlichkeit auf unzureichende Grundkompetenzen vieler Erwachsener aufmerksam zu machen.
In Frankreich hat sich der Verein „Wissenskette“ gegründet, um die Problematik des Illetrismus bekannt zu machen. Gute Erfahrungen zur Sensibilisierung wurden bei Flohmarkt-Aktionen gemacht. Infos unter: http://www.chainedessavoirs.org/
In Holland sind 150 Botschafter im nationalen Verband ABC organisiert. Auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene setzen sie sich für die politische und finanzielle Verbesserung des Zugangs zum Lesen und Schreiben ein. Die Botschafter werden speziell geschult für ihre Aufgaben. Infos: http://www.a-b-c.nu
Im französischsprachigen Belgien hat sich eine Bewegung „Lesen und Schreiben“ gegründet, um Beratung und Information für Betroffene zu organisieren, eine Alphazeitung (le Journal de l`Alpha) zu publizieren und ein Spiel zur Sensibilisierung von Schülern zu entwickeln.
Für Deutschland stellte Ernst Lorenzen am Beispiel der ABC-Selbsthilfegruppe die erstmalige Aktion vor, mit einem Plakat von Portraits Betroffener an die Öffentlichkeit zu gehen – nach dem Motto: Wir verstecken uns nicht mehr, sondern zeigen Gesicht und erheben die Stimme. Dadurch sollen mehr Betroffene und Menschen aus ihrem sozialen Umfeld erreicht werden. Infos: http://www.abc-selbsthilfegruppe.de/In der französischsprachigen Schweiz will die Gruppe „Lernende Experten“ Menschen zum Kursbesuch ermutigen und als zentrales Projekt Jugendliche für das Thema Analphabetismus sensibilisieren. Sie sammelten Erfahrungen mit Radio- und Fernsehsendungen. Videos findet man unter http://www.lesenlireleggere.ch
In Graubünden hat eine Gruppe Kursteilnehmender nach dem Vorbild der ABC-Zeitung eine eigene Zeitung herausgebracht und bei Straßenaktionen verkauft.
Bei allen Gruppen wurde deutlich, dass ehemalige und jetzige Lernende die richtigen Worte finden, um andere zum Lernen zu ermutigen. Sie können ihre Anliegen aus eigener Erfahrung vertreten und somit am besten überzeugen.
Foto 5 Bern/Infostand
In einer Diskussionsrunde mit Lerner-Vertretern aus den fünf beteiligten Ländern wurden die Erfahrungen und Perspektiven für die jeweilige Arbeit der Selbsthilfegruppen und Botschafter in ihren Ländern bewertet. Für Deutschland betonte Brigitte van der Velde die Notwendigkeit und bisherigen Erfolge, mit politischen Entscheidungsträgern ins Gespräch zu kommen: „Lerner müssen sich an die Politik wenden, denn nur so kann man etwas an seiner Situation verändern.“
Sieben Workshops boten anschließend die Möglichkeit der Vertiefung. Im bestens besuchten Workshop „Neue Wege gehen – Aktionen der ABC-Selbsthilfegruppe Oldenburg“ berichteten die Oldenburger über ihre Erfahrungen, Betroffene zu ermutigen, Multiplikatoren und Mitwissende zu sensibilisieren und verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu informieren.Die Botschaft lautete: Lerner-Experten auf jeden Fall in Öffentlichkeitsarbeit, Teilnehmergewinnung, Fortbildungen und Erprobung von Lernmaterialien einbeziehen!
Am Folgetag hatten die 30 Lernenden und Lernbegleiter noch die Möglichkeit, in Kleingruppen über notwendige Qualifizierungen für öffentliche Präsentationen, über Sponsoring und Perspektiven der internationalen Vernetzung zu diskutieren.
Diese Tagung gab viele neue Impulse und vermittelte einen Aufbruch.
Toller Beitrag, liebe Brigitte, Ernst und Achim! Es war schön, Euch in Bern getroffen zu haben. Wir haben ganz viele positive Reaktionen zur Tagung bekommen. Danke Euch für Euren Einsatz!
Herzlich, Andrea Schommer, Verein Lesen und Schreiben Deutsche Schweiz