Situation, Motivation und Angebote


 
So lautete die Fachtagung des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung vom 19. bis 21.09.2012 im Maritim Hotel in Bad Wildungen. Über 250 Interessierte aus Praxis, Wissenschaft und Politik nahmen an dieser 10. Tagung im Rahmen der Weltalphabetisierungsdekade teil – darunter vier Lernende und zwei Lernbegleiter der VHS Oldenburg mit eigenen Workshops.
 
Es waren drei spannende Tage mit 32 Workshops, 7 Input-Vorträgen, 3 Talkformaten und einem großen Infomarkt, die zu anregender Diskussion und vielfältigem Austausch anregten. Dem Publikum wurde die neue Werbekampagne des BMBF „Lesen und Schreiben – mein Schlüssel zur Welt“ vorgestellt. Es handelt sich um drei kurze Werbespots (TV: 35s, Kino: 45s), in denen Erfolgsgeschichten der Betroffenen präsentiert werden. Die Tagung stand auch im Zeichen der 75 Lerner/innen, so viel wie nie zuvor bei einer Tagung, die sich sehr selbstbewusst zeigten und ihre Forderungen präsentierten.
 

 

 
Schon am ersten Tag trugen Mitglieder aus Selbsthilfegruppen eindringlich ihr Lerner-Manifest vor, das von Lernenden aus Lese- und Schreibkursen verschiedener europäischer Länder im Rahmen des Eur-Alpha Netzwerkes (2009 – 2012) erstellt worden war. Gefordert werden mehr Investitionen, direkte Teilhabe, spezielle Schulungen für Lehrende, ein Mitspracherecht, die Einbindung von Politikern und die Verbreitung des Manifestes, um mehr Kontakt mit mehr Lernenden aus verschiedenen Ländern knüpfen zu können.
 

 
Am zweiten Tag wurde hauptsächlich in verschiedenen Workshops gearbeitet. Zuvor allerdings konnte man im Plenum eine Gesprächsrunde mit Brigitte van der Velde und Ernst Lorenzen von der ABC-Selbsthilfegruppe Oldenburg und dem Alphabetisierungspädagogen Achim Scholz zum Thema „Die Lernenden sind die wahren Botschafter“ verfolgen. Sie berichteten von der Gründung der Selbsthilfegruppe, ihrer Arbeit und ihren Aktionen. So schulen sie mittlerweile Firmenmitarbeiter und laden regelmäßig Arbeitsvermittler des Jobcenters ein, denen sie und andere Lerner über ihre Fortschritte und Erfolgsgeschichten berichten. Bekannt geworden ist Ernst Lorenzen vor allem als Ernst55. Die Lernenden werden für ihre Öffentlichkeitsarbeit gezielt zu Experten geschult, um den vielfältigen Anfragen professionell begegnen zu können.
 

 
Im Workshop „Offener Unterricht im Alphabetisierungskurs“ stellte Kathleen Bleßmann offene Lernangebote der VHS Oldenburg an Praxisbeispielen vor – die generationsübergreifende Lernwerkstatt, das ABC-Zeitungsprojekt und die Wochenplanarbeit. Die Teilnehmenden diskutierten darüber, was offenen Unterricht ausmacht, berichteten von eigenen Erfahrungen und tauschten sich in Kleingruppen darüber aus, wie sie offene Unterrichtsanteile gestalten, ob und wie sie ihren Unterricht weiter öffnen möchten und welche Schwierigkeiten dabei zu bewältigen wären. Sie zeigten sich zuversichtlich, dass offener Unterricht gelingen kann. Abschließend wurden geeignete Lernmaterialien, auch für die Arbeit am Computer, vorgestellt. Diese und zukünftig neu entwickelte Materialien finden sich hier.
 

 
Im Workshop „Nur gemeinsam sind wir stark“ von Brigitte van der Velde und Ernst Lorenzen fanden sich etwa 30 Betroffene aus allen Teilen Deutschlands ein. Das Interesse an der Oldenburger Selbsthilfegruppe und an der ABC-Zeitung war sehr groß. Viele wollten genau wissen, wie sich die Selbsthilfegruppe aufgebaut hat und welche Strategien entwickelt wurden. Auch die Finanzierung über Spenden wurde stark nachgefragt. Sehr gut gefiel die Website mit der Beschreibung der Aktivitäten und der Möglichkeit des Vorlesens. Wie immer reichte die Zeit nicht aus, alle Themen zu erörtern.
 
Im Workshop „Arbeitsplatzbezogene Grundbildung“ berichtete Achim Scholz über Finanzierung, Konzept und Durchführung einer einjährigen Maßnahme zur arbeitsplatzorientierten Schriftsprachvermittlung bei der VHS Oldenburg. In 30 Unterrichtsstunden pro Woche werden arbeitsplatzrelevante Grundqualifikationen im Lesen, Schreiben, Rechnen und EDV-Kenntnisse vermittelt. Ein besonderer Akzent liegt hier beim selbst bestimmten Lernen: Jede Woche wird für jeden Lerner ein individueller Lernplan erstellt, der im Laufe der Woche im eigenen Tempo abgearbeitet wird. Das Projekt ist auch in einem Artikel des Alfa-Forums Nr. 78 beschrieben.
 

 
Beim Info-Markt konnte man bei Kaffee und Keksen die vielen Stände der Kursanbieter, Projekte, Verlage und Selbsthilfegruppen besuchen, individuelle Gespräche führen und neue persönliche Kontakte knüpfen. Lernende vom Verein Lesen und Schreiben in Berlin interviewten die Mitglieder der ABC-Selbsthilfegruppe Oldenburg, deren Stand immer stark belagert war.
 
Am dritten Tag standen die Lernenden noch einmal im Mittelpunkt des Geschehens. Zunächst erzählten Horst Uhrig und Elfriede Haller von den Anfängen ihres Engagements in der Selbsthilfegruppe Ludwigshafen und ihrer umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit.
 

 
Dann gesellten sich alle Lernenden zu einem beeindruckenden Bild auf die Bühne. In bewegenden Worten nannten sie die von ihnen zuvor erarbeiteten Ideen und Forderungen für die Alphabetisierungsarbeit in Deutschland, u.a. eine stärkere Einbindung in Öffentlichkeitsarbeit, Marketingstrategien und Organisationsbelangen. Aber auch Gründung weiterer Selbsthilfegruppen, Sponsoren-Suche, stärkerer Erfahrungsaustausch, weitere Ausbildung als Lerner-Experten und Begleitung bei beruflicher Fortbildung. Flächendeckende kostenlose Kursangebote, Lerner als bezahlte Kursbegleiter und noch vieles mehr. Dies wird schon bald nachzulesen sein.