
Deutsche und niederländische Lernende im Unterricht eines Lese- und Schreibkurses in einer Mittelschule in Utrecht
In den Niederlanden haben eineinhalb Millionen Menschen bzw. 13 Prozent der Bevölkerung ein Problem mit dem Lesen und Schreiben. Einen Einblick in den Unterrichtsalltag von Lese- und Schreibkursen in Utrecht konnten vier Lerner-Experten der ABC-Selbsthilfegruppe Oldenburg und ihr Lernbegleiter Achim Scholz bei einer Studienfahrt Ende Juni gewinnen. Kees Hammink von der niederländischen Gastorganisation Stichting ABC und die Lehrerin Gerrie Overweel begleiteten die Oldenburger durch ein reichhaltiges Programmangebot.
Ermöglicht wurde diese Bildungsreise durch das Förderprogramm Erasmus+ der Europäischen Union. Durch Mobilitätsprojekte dieser Art sollen in der Erwachsenenbildung (hier speziell Grundbildung) ein Erfahrungsaustausch ermöglicht und innovative Entwicklungen vorangebracht werden.
Die Unterrichtshospitation erfolgte bei drei Lese- und Schreibkursen des Bildungsanbieters Prago (Praktisch Gericht Onderwijs, also praktische Ausbildung bzw. Grundbildung), der in den Niederlanden Filialen in rund 20 Städten unterhält, mit einem Zentralbüro in Utrecht. Prago betreibt auch eine Facebook-Seite, auf dem Aktuelles (zum Beispiel der Besuch der Oldenburger) dokumentiert wird: https://nl-nl.facebook.com/Pragoschool/
Wenn Erwachsene ein Problem mit dem Lesen und Schreiben haben, gehen sie häufig in eine Bibliothek. Von dort werden sie an die Schule Prago verwiesen, die für Grundbildung zuständig ist. Interessierte Personen werden auch vermittelt durch die Heilsarmee oder durch Wohlfahrtsorganisationen, die sich in der Nachbarschaftshilfe und in Stadtteiltreffs engagieren.
Prago mietet Unterrichts- und Lehrmittelräume in Schulen an, für die Abendkurse in Utrecht in der Mittelschule „Trajectum“ College. In jedem Kurs sind nominell 15 Kursisten* im Alter von 25 bis 55 Jahren, etwa je zur Hälfte Muttersprachler und Migranten, aber auch gehandicapte Personen.Im gesamten Stadtgebiet von Utrecht mit etwa 400.000 Einwohnern gibt es zurzeit nur 6 Kursangebote mit insgesamt 90 Kursisten. Neben der ausgebildeten Hauptlehrkraft werden die Kursisten von einer freiwilligen Person (zumeist pensionierte Lehrkräfte oder Studenten) unterstützt.
Der Unterricht ist je nach Lernstand mit speziellen Lernmaterialien sehr individuell ausgerichtet. Jeder Kursist bekommt eine Mappe mit eigenen Büchern (Grammatikbuch, Leichtlese-Buch, Lese- und Schreibheft) und ein eigenes Lernprogramm.
In einem separaten EDV-Raum kann er mit individueller Unterstützung mit Lernprogrammen arbeiten, z.B. www.oefenen.nl.
Es gibt nur Abendkurse, zweimal pro Woche von 19 – 21 Uhr statt. Ein Kursist aus Utrecht zahlt für 160 Ustd. im Jahr einen Eigenanteil von 60 Euro. Die Gemeinde subventioniert mit weiteren 1360 € pro Jahr.

Die Oldenburger Gästegruppe mit Kees Hammink und Gerrie Overwell am Eingang der Volksuniversiteit Utrecht.
• Eine gute Lehrperson, die gut erklären kann.
• Ein guter Zusammenhalt der Lerngruppe.
• Die Förderung bei unterschiedlichen Lernständen (levels).
• Von den Kursisten ausgesuchter Lernstoff.
• Selbstständiges Bearbeiten von Aufgaben und Übungen.
• Ein lockerer Umgang miteinander, ohne Stress.
• Ein bisschen Strenge bzw. Disziplin darf sein.
Neben dem fachlichen Austausch gab es auch noch ein tolles Begleitprogramm mit Besichtigung der Befestigungsanlage Vechten als Teil der Nieuwe Hollandse Waterlinie, dem römischen Castellum Fectio, den alten Rheinauen, dem Wochenmarkt in Zeist und einer Stadtführung in Utrecht.
* Mit Kursist wird in den Niederlanden ein Kursteilnehmer bezeichnet.